Rujište – Kopilica / Tagesmotto: Wolkenbruch und die beiden Schicksen
6 1/2 h / 1200 M aufwärts / 360 M abwärts / 15 km
Das Essen im Gasthaus Snjezna Kuća ist wirklich gut, auch das Frühstück, doch während wir warten, wird es zu einem Spätstück. Wir erwarten es nicht anders, denn auch vor einem Jahr sind wir am Zmorgetisch fast verhungert.
So wird es nach neun, bis wir loszotteln und ein weiteres Highlight steht uns bei tollen Wetterverhältnissen bevor, denn wir steigen in das Prenj-Gebirge ein.
Und nochmals wie im letzten Herbst wecken wir die Aufmerksamkeit der Dorfhunde. Bald sind wir eine Sechsergruppe, denn drei Hunde heften sich an unsere Fersen.
Der Aufstieg erfolgt wunderschön und langgezogen, zuerst im Laubwald, dann durch Föhren und ab Bijele Vode durch karstiges Gelände mit Blick auf unsere beiden heutigen Gipfel Otiš und Zelena Glava.
Zwei der drei Hunde verziehen sich bald, doch ausgerechnet das Hinkebein bleibt hartnäckig. Er versteckt sich zwar immer wieder im Wald oder hinter Felsen, doch erfreut über seine weglosen Abstecher sind wir nicht, denn die Prenj-Mountain sind noch nicht komplett von Minen geräumt.
Bei der verschlossenen Hütte Adnan Krilić füllen wir unsere beiden 3-Liter Wasserbeutel aus dem Tank mit gesammeltem Dachwasser, denn wir wissen nicht, ob wir heute nochmals Wasser haben werden.
Am frühen Nachmittag stehen wir dann auf dem Sattel zwischen den beiden Gipfeln und hoffen, dass sich die immer grösseren Wolken wieder auflösen und uns kein Wolkenbruch überrascht.
Zuerst nehmen wir den Otiš auf der rechten Seite in Angriff, ohne Rucksack gleicht der Aufstieg einer Liftfahrt in den zwanzigsten Stock. Im Zickzack führt der Weg über die Wiesenflanke hoch. Und tatsächlich hat sich die Sonne wieder durchgesetzt und wir strahlen mit ihr um die Wette.
Bald sind wir wieder beim Sattel nur um gleich wieder auf der anderen Seite hochzusteigen. Auch diese rund 100 HM sind rasch bewältigt, einige Stellen sind mit Fixseilen gesichert, der Weg ist jedoch nirgends ausgesetzt. Richtig nette Kraxelei!
Unser Humpelhund versucht uns nachzukommen, doch die Passage mit den Seilen schafft er nicht. Seine heulenden Rufe hallen herzzerbrechend zwischen den Felsen bis wir wieder absteigen.
Wir planen zur unbewarteten aber offenen Jezerce-Hütte abzusteigen, aber auf dem Weg dorthin liegt das perfekte Wieslein für zwei Hubba Hubbas mit atemberaubendem Panorama. Da bleiben wir bis Morgen, keine Frage!
Doch der Feierabend ist noch weit entfernt, bis wir alle unsere Ämtli erledigt haben, taucht die Sonne schon bald hinter dem Zelena Glava ab und dann wird es rasch frisch. Wir befinden uns immer noch auf 1900 MüM, die Wolken haben sich zwar verzogen, aber der Wind ist nicht mehr so wohl temperiert wie tagsüber. Schon vor acht Uhr liegen wir in unseren Schlafsäcken und lassen die vielen Eindrücke nochmals durch das Kopfkino laufen.
Kopilica – Cetina / Tagesmotto: Who let the dog out?
7 1/2 h / 860 M aufwärts / 870 M abwärts / 15.3 km
Eine kalte Nacht liegt hinter uns, erstmals erwachen wir mit Bodenfrost. Nach 10 Stunden im Zelt ist das Aufstehen eine richtige Wohltat, auch unser vierbeinige Begleiter freut sich auf die Weiterreise und begrüsst uns hoffnungsvoll.
Wir werden heute nochmals im Prenj-Gebirge unterwegs sein, für uns einer der schönsten Abschnitte auf der Via Dinarica. Die karstigen Felder mit den zahlreichen Gipfeln erinnern uns ans Alpstein, nur dass wir hier sehr einsam wandern aber dafür fehlen auch die gemütlichen Einkehrmöglichkeiten. Aber wir tragen ja Wasser mit, viel Wasser!
Die Quelle bei der Jezerce Hütte hat noch Wasser, im Gegensatz zur Quelle gestern bei Bijele Vode. So schöpfen wir nochmals nach, denn viele Möglichkeiten wird es auch heute in diesem karstigen Gelände nicht geben.
Fürs Auge ein wunderschöner Abschnitt, wir wandern den riesigen Karstfeldern entlang und teilweise auch darüber. Immer noch im Minengebiet, versuchen wir die Wegspur zu halten. Dort wo Kuhfladen die Wiese kleistern, trauen wir auch weglos eine Abkürzung zu nehmen.
Beim Biwak Lučine erinnern wir uns an einen Tisch und Bänke für unseren Mittagshalt, ausser ein paar Holzbrettern und Pfählen am Boden ist davon jedoch nichts mehr zu sehen. Dafür bietet sich die Wiese für ein Nickerchen an.
Das Wolkengeschmier breitet sich immer mehr aus und wir steigen wieder hoch bis zum Greda-Pass, wo wir uns entscheiden müssen, ob wir auch heute einen Gipfel einbauen möchten. Den Abstieg nach Ravna haben wir sowieso erst für Morgen geplant, lieber nochmals eine Nacht ganz nah dem leuchtenden Sternenhimmel weit weg von allem.
So sind wir uns schnell einig, dass wir die 200 HM auf den Cetina noch dazu nehmen und bald schon können wir von oben auf Jablanica blicken, den Wanderschlusspunkt für Doris.
Aber zuerst geniessen wir nur wenig unterhalb des Gipfels nochmals das volle Outdoor-Programm mit Kochen, Campen, schönen Abendstimmungen und vielen Snacks zum Dessert. Schaffen wir es endlich einmal, mit einem ganz leeren Futtersack ins Tal zu kommen?
Cetina – Ravna / Tagesmotto: Abrupt!
4 1/2 h / 40 M aufwärts / 1710 M abwärts / 8.3 km
Die windstille Nacht fühlt sich endlos an, mit den ersten Sonnenstrahlen räumen wir mit einer Überdosis Schlaf unser Nachtlager zusammen und nehmen den langen Abstieg nach Ravna in Angriff.
Entgegen den Wetterprophezeiungen ist der Himmel klar und auch die Temperaturen sind deutlich milder als am Vortag.
Die Meduprenj-Hütte erreichen wir innerhalb einer Stunde und auch hier hätten wir ausnahmsweise Unterschlupf gefunden, denn zwei Herren mit dem Schlüssel sind extra für einen Übernachtungsgast angereist.
Der steile Abstieg nach Ravna durch einen für den Balkan so typischen Mischwald ist wunderschön. Zuerst quert der Weg im Hang und dann führt er mehrheitlich auf dem bewaldeten Grat über 1500 HM immer tiefer. Bei Regen oder Nässe ein heikler Abschnitt, denn Ausrutschen ist an einigen Stellen nicht empfohlen. Obwohl der Wanderweg gut markiert ist, bleibt er wild und ursprünglich, so richtig nach unserem Geschmack.
Bei ungünstigen Wetterbedingungen ist die Variante über Glogošnica auf dem Fahrsträsschen die sichere Option. Die Einheimischen fahren bis kurz vor die Meduprenj-Hütte hoch und erreichen so das Prenj-Gebirge relativ locker!
Und plötzlich spuckt uns das Dickicht aus und wir stehen auf 200 MüM bei strahlender Sonne am unteren Dorfrand von Ravna. Es ist bereits Mittag und wir zielen ohne Umwege auf den Shop von unseren letztjährigen Freunden, der Familie Bela, zu.
Kaum zu glauben, das kleine Dorf mit rund 150 Bewohnern hat zwei Lädeli und zwar nur in etwa 50 Meter Distanz! Und wir schaffen es tatsächlich, uns im ‚falschen‘ mit kühlen Getränken einzudecken. Unser Hund wird von einem Dorfbewohner rasch als ‚Neuzuzüger‘ erkannt, eingefangen und abgeführt. All das geht uns fast etwas zu schnell, hoffentlich wird er gut behandelt. Immerhin hat seine verletzte Pfote in den drei Tagen durch die Prenj-Mountains eine Spontanheilung erfahren. Anscheinend sind Jagdhunde gesucht und wir können davon ausgehen, dass sich der Hundefänger einen schönen Zustupf generiert mit dem Verkauf an einen Jäger!
Nach dem ersten Durstlöscher finden wir Alena im zweiten Shop und bald sitzen wir bei der Familie vor dem Haus und werden rundum verwöhnt! Wir werden zum Lunch eingeladen, gemeinsam rüsten wir auf der Terrasse umgeben von etwa zehn miauenden Katzen in allen Grössen und Farben, das frische Gemüse direkt aus dem Garten.
Mit dem Bau des geplanten Via Dinarica Guesthouses sind sie leider noch nicht weiter als letztes Jahr, eine Krankheitsdiagnose des Vaters Senad führt zu Verzögerungen. Wir freuen uns jedoch zu hören, dass die beiden Söhne Vedad und Adi sich überlegen, touristische Angebote aufzugleisen mit Wassersport auf der Neretva und Wandertouren. Das wäre so wichtig, wenn die Jungen im Land bleiben würden, die Mehrheit der gut ausgebildeten Jungen möchte auswandern und auch teilhaben an den wirtschaftlichen Verdiensten der EU, USA oder auch Kanada.
Um 17 Uhr brechen wir dann auf, es fehlen noch etwa 1 1/2 Wanderstunden bis Jablanica. Es wird aber nichts mehr mit Wandern, Vedad bietet uns ein Fahrdienst an. Wir nehmen gerne an, obwohl der Trail nun für Doris doch sehr abrupt endet.
Sollen wir in Jablanica übernachten oder direkt weiter mit dem Bus nach Mostar fahren? Beim Busbahnhof steht tatsächlich ein Bus mit Mostar angeschrieben in den Startlöchern, schnell gumpen wir hinein und geniessen die Fahrt der türkisblauen Neretva entlang.
Der Kontrast zu gestern um diese Zeit ist immens, von der totalen Einsamkeit auf 1900 MüM, bereits fröstelnd in den Schlafsack gemummelt mit staunenden Blicken in unsere unendlich schöne Natur, die Fühler ausgestreckt um jeden Vibe einzufangen und nun im touristischen Mostar, frisch gewaschen bis spät in die Nacht kurzärmlig, auf dem Dorfplatz zu live Musik wippend, mit Knoblauchfahne und Bier in der Hand, all den herausgeputzten und parfümierten Menschen zuschauend. Wir müssen uns zuerst wieder an dieses Leben gewöhnen!
Mostar
Es ist der perfekte Ort, um die unvergesslichen elf Wandertage mit Doris abzuschliessen. Es bleiben uns zwei Tage in dieser historischen Stadt, welche unter UNESCO Kulturerbe steht. Wir geniessen die pittoreske Altstadt, das abwechslungsreiche Essen, die tolle Stimmung, die lauen Nächte, die vielen Eisstände, das lokale Bier, die spontanen Gespräche mit anderen Touristen, die unterschiedlichen Live-Musiken, das komfortable Apartmani, die Altstadtbrücke mit den waghalsigen Wasserspringern und die multikulturelle Atmosphäre. Letztes Jahr haben wir Mostar ausgestorben und etwas trostlos erlebt, schön ist das Leben wieder erwacht und die Gassen sind gefüllt mit lachenden Menschen, holpernden Kinderwagen, riesigen Reisegruppen hinter einem Fähnchen nachwandelnd, Hunden und Katzen, halbnackten bis komplett verhüllten Gestalten, Souvenirjägern und Selfiespezialisten.
Viel zu schnell ist Samstag und für Doris kommt die Rückreise in die Schweiz immer näher. Gemeinsam fahren wir mit dem Bus zurück Richtung Sarajevo, die Wurzelkochers steigen in Jablanica aus und werden im bewährten Duo den Trail fortsetzen.
Uns interessiert natürlich, wie Doris die zwei Wochen erlebt hat, für uns ist bereits vieles so etwas wie Alltag, doch wir erinnern uns gut daran zurück, dass im letzten Sommer regelmässig Fragezeichen und Unsicherheiten am Wegrand lagen. Wir geben mun das Wort an Doris:
Doris-Motto: Ohne Fleiss kein Preis
Weitwanderer sind keine Rosinenpicker, es gibt viele wunderschöne Etappen, aber auch mal die Fleisskilometer die einfach ‚abgstrablet‘ werden müssen. So heisst es fleissig wandern und als Preis winkt eine kurze Pause, ein Schluck Wasser, etwas zu Knabbern, abwechslungsreiche, spektakuläre Landschaften, einmalige Berggipfel, ein Schluck von Thomas’ erlesenem Gipfelschnaps, ein wunderschönes Zeltplätzchen, das Eintreffen in die langersehnte Unterkunft, ein grosses Bier, ein feines Essen ob vom Gaskocher oder aus der Restaurantküche.
Weitwanderer müssen dauernd vorausschauen:
- Zuhause beginnend mit Packen, nach Sonjas Motto: weniger ist mehr
- bei jedem Schritt auf was man tritt
- ein bisschen weiter nach vorne, um die Wandermarkierungen zu erspähen
- wieviel Wasser muss man schleppen, sprich wo ist die nächste Voda-Quelle
- wie viele Zeltnächte, bis zur nächsten Einkaufsmöglichkeit
- wie viele Riegel, Guetzli, Pasta brauchts
- lebenswichtig, für jeden ein gutgefülltes Säcklein Nussmischung damit man immer was zum Knabbern hat
Unglaublich was im Rucksack von Thomas und Sonja alles Platz hat. Zusätzlich zur normalen Campingausrüstung, ein Minimum an Kleidern, Kochutensilien, Essen, Erste-Hilfe-Set und obendrauf wenn‘s sein muss noch je 3 Liter Wasser…
Und dieses Monster tragen sie mit einer Leichtigkeit den ganzen Tag bergauf und -ab, geradeaus sowieso; vergleichbar mit ‚Speedy Gonzales‘. Meistens sah ich nur die beiden Rucksäcke von hinten. Aber immer ein Hingucker, das rot-weiss zwischen den Büschen.
Aber auch ein Greenhorn findet nach ein paar Tagen in den Trott, so dass man das Mitwandern auch richtig geniessen kann. Wichtige Erkenntnisse für mich; zwei Stunden Wandern, ist nicht mehr weit und besser rückwärts blicken, was man schon geschafft hat, anstatt nach vorne, was man noch schaffen muss.
Liebe Sonja, lieber Thomas meinen ganz ganz herzlichen Dank, dass ich euch während zwei Wochen auf eurem Weg begleiten durfte, von eurer Liebe zu Bosnien, Outdoorwissen, Wegfindung profitieren durfte, mit euch viele schöne Begegnungen mit den sehr hilfsbereiten und überaus freundlichen Einheimischen erleben durfte und Teil der im Balkan prominenten Wurzelkocher-Community sein durfte…
Es war einfach ein wunderschönes und unvergessliches Abendteuer mit euch unterwegs zu sein. Der Balkanvirus hat mich definitiv auch gepackt!
Ganz herzlichen Dank liebe Doris, dass du so unkompliziert und offen für alles dich auf dieses Abenteuer eingelassen hast. Die gemeinsamen Erlebnisse sind unvergesslich und einzigartig tief in unseren Herzen aufbewahrt. Es braucht doch auch etwas Mut, sich zwei gut Eingelaufenen an die Fersen zu hängen. Du hast das wirklich super gemacht und die anfänglichen Bedenken haben sich mit jedem Tag mehr ausgeschlichen. Und wer weiss, vielleicht hat ja ein kleines Stück Bosnien auch in deinem Alltag ein festes Plätzchen!
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