Entspricht im Rother-Führer den Etappen 47 und 48

Unsere Gastgeberin im Viviere steht extra eine halbe Stunde früher auf für uns, um das Frühstück bereit zu stellen. Ihre Stammgäste sind nicht GTA-Wanderer sondern eher internationale Feriengäste. So fällt sie auch immer wieder in ihr brüchiges Englisch, obwohl unser Italienisch sicher ebenbürtig ist. 

Wer früh stückt, stückt früh

Dafür spricht das Frühstücksbuffet auch eine internationale Sprache, erstmals sind Käse, Trockenfleisch, Eierspeisen zusätzlich zu den staub-trockenen italienischen Zutaten selbstverständlich. Zum Glück bleibt die Musikbox still, wer weiss, ob wir sonst wirklich zu Viert losgewandert wären. 

Aber so starten wir komplett im Quartett, mit vollen Bäuchen aber auch mit dem Wissen, dass die heutige Etappe noch mehr Volumen hergibt als die gestrige. Auch für heute wählen wir gut schweizerisch ein Variäntli, die Original-Route würde uns zurück auf den Passo della Gardetta führen, wir nehmen eine Übergangsvariante leicht südlicher aber mit etwas mehr Höhe. Drum gilt ‚Gring ache u seckle‘.

Der Aufstieg zum Colle Oserot ist wunderschön angelegt, jeder geht sein Tempo, zuerst durch den lichten Lärchenwald und je höher wir steigen immer alpiner. Die vielfältige Flora ist leider bereits mehrheitlich verblüht, dafür sind wir einen Monat zu spät unterwegs. Auch heute begleiten uns die stummen Zeitzeugen in Form von imposanten Militärstrassen und Bunkern, wie glücklich dürfen wir uns schätzen, ohne kriegerische Absichten diese Pässe zu überqueren?

Es wimmelt von Edelweiss, doch sonst sind viele Pflanzen bereits verblüht
Leichtes Aufstiegsterrain
Unsere Passlücke ist bereits in Sichtweite

Wir kommen zügig vorwärts und schaffen eine Punktlandung auf dem Passübergang, zwei Stunden nach Abmarsch im Viviere stehen wir 900 HM höher und einige geschichtsträchtige Gedanken weiser auf dem Passübergang. Natürlich werden die Wege nicht mehr so intensiv unterhalten, früher wurden sie so hergerichtet, dass Kanonen transportiert werden konnten.

Eindrücklich, die militärischen Bauwerke sogar auf 2600 MüM
Wir gönnen uns eine erste Pause

Wir sind nun den 5. Tag gemeinsam unterwegs, jeder kennt seine Freiheiten, Stärken und auch Schwächen. Aber wir funktionieren super als homogenes Wandergrüppli und sind vor allem alle voll ‚zwäg‘. Wie ein Frecciarossa überwinden wir die Distanzen. Die von Reini weggewünschte ‚Widegeente‘ ist tatsächlich fern geblieben, so einen Appenzeller Muskelkater will wirklich niemand.

Nach dem Colle Oserot gehts weiter mit alten Militärstrassen
Wir haben wieder die Original-Route im Blick und unter den Füssen

Nach einem ersten Abstieg wieder auf GTA-Route, am Lago Oserot vorbei, einer von uns ist bereits genug aufgeheizt, um in den kühlen See zu springen, der anfangs blaue Himmel zeigte phasenweise ein Zwischengrau, inzwischen ist er wieder recht blau, ein sympathischer Kuhhirte treibt in einer Engelsgeduld eine rund 100 Kühe umfassende Herde den Berg hoch, erreichen wir die zweite Schnittstelle. 

Einsames Bad im Lago Oserot
Eine Wanderkuh geht die GTA nordwärts
Es braucht viel Geduld, alle Kühe den Hang hochzulotsen

Nochmals entscheiden wir uns für das Variäntli, steigen ein zweites Mal hoch und gönnen uns am Passübergang eine verspätete Mittagspause.

Die Schafe am Berghang realisieren schnell, dass Wetter nicht einfach Wetter ist und steigen tiefer. Wir sind geduldiger, doch bald wird auch uns bewusst, dass wir noch 1000 HM absteigen müssen, erste fette Regentropfen fallen und wir sind ja keine Wasserläufer. Aber der grosse Regen verschont uns heute. Bestimmt haben uns die chorealen Echo-Gesänge beschützt.

Ein stotziges Bord gleich zu Beginn des langen Abstieges
Für welche Wandergruppe ist wohl dieses Schild?

Ab jetzt gehts fast nur noch runter, dafür aber üppig. Es geht zügig voran und schon bald stehen wir im Valle Stura – das Tal der Sturen?

Pontebernardo lassen wir rechts liegen, wir wandern direkt weiter bis Sambuco. Die Kirche läutet recht angemessen das Vieri-Glöckli bei unserem Dorf-Einmarsch und wir freuen uns, über das aktive Dorfleben. Natürlich auch vorwiegend touristisch, aber das sind wir ja auch. Apéro, Dusche, Kleider waschen, 2. Apéro, Geschichten, Vorfreude aufs Nachtessen, Füsse pflegen, Sprüche klopfen, 3. Apéro, noch mehr Vorfreude aufs Nachtessen, Menschen beobachten. Highlights für Wanderer nach einer ziemlich anstrengenden Tour. Sambuco ist noch viel besser als sein Name.

Angekommen
Zum Glück behalten wir den Durchblick

Der Speisesaal im Hotel della Pace (Friedenshotel) ist bis auf den letzten Platz gefüllt und das 5-gängige Nachtessen überzeugt uns alle. Die ausgedehnte Vorfreude hat sich absolut gelohnt. Bis im 19. Jahrhundert haben in Sambuco noch über 1000 Personen ganzjährig gelebt. Heute sind es keine 100 mehr.

Werden so ‚die mit dem grossen Appetit‘ gekennzeichnet?

Fazit des Tages: Wer immer in Eile ist, begegnet niemandem – auch nicht sich selbst

 

Rifugio Viviere – Sambuco

0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Avatar-Platzhalter

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert