Die Turbinen vom nahen Wasserkraftwerk sowie der prasselnde Regen auf unser Zeltdach wecken uns und lassen unsere Fünfte Reisewoche einplätschern. Unser Aussenzelt bietet bei diesem tierischen Wetter diversen Erdbewohnern Asyl. So tummeln sich Nacktschnecken, Häuschenschnecken, Spinnen, Zimmermänner und andere Lebewesen an unserer Fassade.
Heute Montag wollen wir über den Glaspass bis Cazis marschieren. Der Aufstieg verläuft steil und spektakulär in einer Schlucht. Den schwarzen Alpensalamandern gefällt das feuchte Ambiente und sie tummeln sich auf dem Weg.
Der Abstieg nach Cazis zieht sich in die Länge, unser Navigationsapp Komoot, von uns liebevoll Comotessa genannt, schickt uns auf halsbrecherischen Bike-Trails ziemlich schnurstracks abwärts, zusammen mit dem feuchten Untergrund entwickelt sich dies zu einer anstrengenden Rutschpartie. Bei Ankunft in der Alterssiedlung St. Martin fühlen wir uns etwa gleich betagt wie die Bewohner.
In der Alterssiedlung wohnt Sonja‘s Mami Margrit und wir dürfen für zwei Nächte das Gästezimmer beziehen. Fast wie im Hotel! So haben wir noch nie genächtigt seit wir unterwegs sind.
Entsprechend ausgiebig fällt die Körperpflege aus und diese war auch zünftig nötig. Zum Glück ist auch die Waschmaschine frei, denn eine Nacktschnecke hat sich in der vorherigen Nacht in Sonja’s Schuh verkrochen und klebt nun mit samt den Eingeweiden an Socke und Schuhsohle, ziemlich leblos.
Der Dienstag wird ein echter Ferientag, wir führen Margrit mit ÖV nach Wergenstein aus, lassen uns im Capricorns kulinarisch verwöhnen und geniessen das tolle Bergpanorama.
Unzählige kleine Dörfer kleben majestätisch an den Bündner Hängen und die Kapellen prägen oft das Ortsbild. Im Gegensatz zu Norditalien sind die Dörfer in gutem Zustand und belebt, das freut uns!
Am Abend gesellt sich der 90ig-jährige Dago zu uns an den Tisch, Nachbar von Margrit in der Alterssiedlung. Er ist gerade heute von einem 5-tägigen Aufenthalt in seiner ausgebauten Höhle zurückgekehrt und erzählt feurig von seinen Wildbeobachtungen. Ob wir in diesem Alter auch noch so fit und unkompliziert unterwegs sein werden?
Der Aufenthalt bei Margrit beendet unsere Besuchsserie und ist so etwas wie das Schlussbouquet. Wir sind am letzten Tag im Mai gestartet und beenden unsere Abschiedstour am letzten Tag im Juni, also genau einen Monat später. In dieser Zeit haben wir rund 315 Radkilometer und 320 Fusskilometer inklusive fast 18‘000 Höhenmeter zurückgelegt. 40 Treffen konnten wir verwirklichen und dabei unvergessliche Momente geniessen. Besonders positiv überrascht hat uns die sehr herzliche Gastfreundschaft, uns wurden mehrmals spontan Schlafmöglichkeiten angeboten, kreative Desserts aufgetischt, Menüs gekocht, Brunch hergerichtet, delikate Weine geöffnet, Wäsche getrocknet und noch Vieles mehr. Mehrmals haben wir zu Ohren bekommen, dass es sehr schön ist, wenn sich Besuch spontan selber anmeldet. Nicht unbedingt ein Schweizer Markenzeichen, aber wir nehmen diesen Gedanken mit und kommen ja irgendwann auch wieder zurück, immer noch homeless… Nochmals ein ganz herzliches Dankeschön an euch alle, die unsere Abschiedstour zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht haben.
Gut ausgeruht mit Ausblick hoch zum schneebedeckten Piz Mitgel erwachen wir am Mittwochmorgen. Er gibt uns die Richtung unserer Route ins Albulatal vor. Auf dem ‚Alter Schin‘-Höhenweg, welcher im Mittelalter ein kühn angelegter Handelsweg war, wandern wir leicht erhöht über dem Albulatal Richtung Tiefencastel.
Einmal mehr faszinieren uns die vielen Kirchen und Kapellen am Wegesrand. Ein bisschen wie pilgern oder ‚beten mit den Füssen‘.
Besonders eindrucksvoll ist die Kirche Mistail bei Alvaschein. Die ehemalige Klosterkirche wurde um 800 in der Zeit Karls des Grossen erbaut.
Für den heute angesagten Gewitterabend suchen wir einen trockenen Unterschlupf. Schon ziemlich am Ende unserer Kräfte kurz vor Surava finden wir einen Kinderspielplatz mit gedeckten Sitzmöglichkeiten. Der Regen darf nun kommen und er lässt nicht lange auf sich warten. Im Trockenen verdienen wir uns beim täglichen Bloggen das selbstgekochte Nachtessen.
Wir schlafen jeweils richtig königlich in unserem Zelt und kommen auch heute nicht vor 9 Uhr los. Vom Himmel her leuchtet die volle Bläue.
Wir folgen weiterhin der gurgelnden Albula und staunen, dass die kleinen Zuflüsse klares Wasser zuführen und die Albula sich doch recht getrübt zeigt vom gestrigen Gewitter.
Der Weg ist sehr schön angelegt, in Filisur leisten wir uns Nusstorte und Kaffee. Die Hälfte von uns schwitzt sich dem Weg entlang und die andere Hälfte ist von ‚Hart auf Hart‘ von T.C. Boyle im Ohr recht gut im Schritt und gedanklich immer wieder in der Kalifornischen Anarchie! Doch noch ein bisschen PCT?
Bald kommt Bergün in Sicht, immer wieder schön! Wir nisten uns auf dem sehr romantisch angelegten Campingplatz ein.
Eigentlich wollen wir am Abend Pizza schlemmen im Dorf, denn Pizza ist nicht wirklich realisierbar auf unserem Köcherli. Aber der doch recht starke Regen, der wurstbereite Grill und die unterhaltsame Trockenrunde veranlassen, dass wir unsere Nahrungsvorräte etwas dezimieren.
Wir sind nun extrem frei in unseren Plänen und passen diese auch fast täglich an. Die angedachte Wanderung über die Ela-Hütte – Fuorcla Tschitta haben wir aufgrund von unsicherem Wetter gekippt. Wir planen nun, möglichst direkt nach Italien zu wandern, Varianten sind vorhanden. Wunschweg wäre über Sertigpass und Fuorcla Trupchun. Wir entscheiden spontan mit dem Wetterbericht als Navigator. Total losgelöst von Raum und Zeit, pendeln wir in unserem eigenen Rhythmus ohne Druck immer weiter östlich mit leichtem Südhang. Ideale Hanglage für eine gut gelagerte Traubensorte mit Jahrgang 1968/69. Wo werden wir landen? Eigentlich unwichtig, Hauptsache wir erleben eine tolle Zeit.
2 Kommentare
Hansueli Solenthaler · Juli 11, 2020 um 12:06
hallo zusammen
vielen Dank für die schöne Karte
Es ist schon sehr spannend , Euch so zu verfolgen und eure Erlebnisse zu sehen .
Einfach interessant und zum Anspornen sehr gut
Liebe Grüsse und immer wieder tolle Erlebnisse wünschen Euch
Hansueli und Mirjam
Esther Hofer · Juli 3, 2020 um 08:47
Wau so schön gschribe.
do bini mitte drinne. kenne d gägend guet. Mis nani und neni si vo rhäzuns gsi.. fernweh, chindheitserinnerige chöme grad uf🙏
Aues guete öich zwöine..