Agios Germanos – Pelister Nationalpark über den Despotiko / Tagesmotto: Grenzerfahrung
Nach einem letzten ausgiebigen Frühstück in Griechenland steht eine kleine Grenzerfahrung an. Sonja ist verhalten optimistisch und Thomas wie immer grenzenlos zuversichtlich, dass wir es schaffen werden, weglos nach Nordmazedonien einzumarschieren.
Den direkten Aufstieg zum Grenzgrat finden wir schon Mal nicht, darum verlängern wir unsere Ferien in Griechenland mit ein paar Zusatzschlaufen. Vorbei an Viehherden, die Kälber zum Schutz vor Wölfen eingezäunt, geht es in angenehmer Steigung auf Kieswegen hoch zu einem Passübergang.
Ein verwaister Wanderweg führt dann hoch zum Grenzgipfel Despotiko (2334 HM).
Klappt das wirklich mit unserem Vorhaben? Auf den nächsten ca. 5 km ist auf unseren GPS-Apps, welche auf Open Street Map basieren, kein Weg eingezeichnet.
Das Gelände sieht auf den ersten Blick einfach aus, aber die vielen Heidelbeer- und Wacholderstauden verwandeln den bevorstehenden Wegabschnitt wohl eher in ein Kampffeld als in ein Weg zum Glück.
Probieren geht über studieren. Und siehe da, wider Erwarten treffen wir sogar auf ganz ordentliche Trampelpfade und das Vertrauen in die Nordmazedonischen Götter nimmt sprunghaft zu.
Der Bergfrühling empfängt uns auch in Nordmazedonien in allen Farben. Und immer wieder treffen wir auf die wunderschönen Balkanlilien.
Etwas zu optimistisch folgen wir einer Spur, welche uns um einen Hügel führen könnte. Zu früh gefreut, in der zweiten Hälfte kommen wir dann doch noch in den Genuss von Staudentreten. Aber immerhin nur während etwa 500 m von 5 km.
Wir sind Mitten im Pelister Nationalpark und finden gleich bei der Ankunft des ersten offiziellen Wegstückes einen tollen Platz fürs Zelt mit Blick zum grossen Prespasee und auf den schon wieder weit zurück liegenden Despotiko. Die Grenze von Griechenland nach Nordmazedonien haben wir zollfrei überschritten, wir haben sowieso nichts zu verzollen, höchstens unsere Gedanken. Nordmazedonien wir kommen!
Nordmazedonien
Nordmazedonien ist ein Binnenstaat in Südosteuropa und befindet sich im Nordwesten der historischen Region Makedonien. Seit 1991 ist der Staat unabhängig, davor gehörte er zur Republik Jugoslawien. Den offiziellen Namen Nordmazedonien trägt das Land erst seit Februar 2019. Der Umbenennung ist ein langer Streit mit dem Nachbarland Griechenland vorausgegangen, wo es auch eine Region Makedonien gibt. Es ist mit 2 Mio Einwohnern ein kleiner Staat und hat eine der schwächsten Volkswirtschaften Europas. Das Land hat mit hohen Arbeitslosenzahlen und einer schwachen Infrastruktur sowie fehlenden Investitionen zu kämpfen. Neben slawischen Mazedoniern, die etwa 64 % der Gesamtbevölkerung stellen, gibt es eine große Minderheit an Albanern (25 %) und weiteren kleineren Ethnien. Durch diese Situation gab und gibt es immer wieder ethnisch motivierte Konflikte, vor allem zwischen Mazedoniern und Albanern. Nach den bürgerkriegsähnlichen Zuständen von 2001 und dem danach unterschriebenen Friedensvertrag hat sich die Gesamtlage im Land deutlich verbessert. Eine gesellschaftliche Gleichstellung aller Ethnien ist jedoch immer noch nicht erreicht. (Quelle: Wikipedia)
Pelister Nationalpark – Molika Hotel / Tagesmotto: grenzwertig
Ist es wirklich erst sechs Uhr und bereits so hell? Wir sind neu wieder in der MEZ-Zeitzone aber unsere innere Uhr tickt noch eine Stunde voraus.
Es ist angenehm frisch und wir kommen gut voran auf dem toll angelegten Höhenweg.
Bei der verschlossenen Dimitar Ilievski Berghütte am Golem-See treffen wir erstmals auf Menschen – zwei Tschechen mit ihren Töffs.
Ansonsten wandern wir zweisam vor uns hin und werden uns bewusst, dass auf diesen Grenzkämmen auch schon schwierigere Zeiten herrschten.
Auf dem hässlich verunstalteten Pelister gönnen wir uns eine längere Pause, bevor wir dann noch rasch ins Tal absteigen, so denken wir…
Hoppla Schorsch, damit haben wir nicht gerechnet! Nach den sanften Hügelzügen stehen wir plötzlich in einem riesigen Steingarten und unser Weg führt auf der Krete nochmals über zwei Gipfel und dann fast endlos hinunter.
Zum Glück ist das Wetter stabil trocken, wir sind nun schon seit mehr als vier Wochen unterwegs und sind kaum von Regen oder Gewitter gestört worden. Das erleichtert unsere Planung enorm, insbesondere Routen wie diese könnten bei Nässe nur schwer begangen werden.
Nachmittagsfüllende Beschäftigungstherapie für zwei Wanderer! Grundsätzlich lieben wir solche Streckenabschnitte aber mit dem schweren Rucksack und schon etwas müden Beinen sehnen wir uns nach leichteren Wegen. Und kaum ist ein Stück geschafft, kommt eine neue Geröllhalde zum Vorschein. Eine gewisse Kraxelsättigung stellt sich ein und hätten wir genug Wasser dabei, würden wir wohl bei der erst besten Möglichkeit unser Zelt aufstellen.
Nicht einmal mehr die Rehe flüchten vor uns, die erkennen wohl, dass wir etwas lahm unterwegs sind!
Unsere Spekulation auf ein Hotelzimmer im Hotel Molika geht auf! Wir müssen uns ja nichts verdienen, aber eine kleine Belohnung nach dieser zünftigen Tour liegt schon drin. Der Muskelkater kommt ja dann Morgen auch, ohne dass wir ihn verdienen…
Hotel Molika – Resen / Tagesmotto: Musik liegt in der Luft
Irgendwie etwas surreal: diese Wechsel von Zelt-Nächten und dann wieder voll im Kitsch mit allem Luxus. Es wird uns immer wieder bewusst, wie wenig Anerkennung wir im normalen Leben den für uns alltäglichen Dingen geben, wie z.B. einer Dusche statt einer Schweissnote in der Nase, kühlen Getränken statt lauwarmem Wasser oder frischem Essen statt Trockenfutter. Alles ist selbstverständlich und immer verfügbar.
Auf einem Info-Trail über die Geschehnisse des 1. Weltkrieges starten wir bei schon recht hohem Sonnenstand in unsere geplanten 28 km bis nach Resen. Wir kommen einfach nicht früh los, wenn wir in einer Unterkunft mit Frühstück übernachten, dafür müssen wir tagsüber keine Nahrungsaufnahmepausen mehr einbauen.
Doch kaum verlassen wir die Grenzen des Nationalparks wird uns unmissverständlich bewusst, dass wir wieder im Balkan sind: in der Nähe von bewohntem Gebiet gleicht unser Weg einer Reise entlang von endlosen, kleinen Mülldeponien, oft nach Art des Abfalls sortiert. Balkanrecycling.
Doch zurück zu den erfreulichen Momenten: immer noch begrüssen wir jede Schildkröte persönlich und diese beiden gleich doppelt!
Die heutige Etappe führt uns im Tal an mehreren Dörfern vorbei. Ein bekanntes Bild mit vielen verfallenen Häusern und einer überalterten Bevölkerung zeigt sich. Die Landwirtschaft bildet die Haupteinnahmequelle.
In Sopotsko, kurz vor Resen, gibts sogar einen Mini-Markt, aber leider öffnet er erst in einer Stunde wieder. Doch sind wir wohl so etwas wie die Attraktion des Jahres, ein junger Bursche holt den Ladenbesitzer und so kommen wir doch noch zu einem erfrischenden Bier. Sein Grossvater setzt sich auch dazu und eine spannende Gesprächsrunde in gutem Englisch ergibt sich. Der junge Mann hat soeben die Schule abgeschlossen und möchte ins Ausland studieren gehen. Der Traum der meisten jungen Menschen, denn die wirtschaftlichen Perspektiven in Nordmazedonien sind sehr bescheiden.
Unser erster Abend in einer nordmazedonischen Ortschaft entpuppt sich dann zu einer Überraschung! Obwohl Donnerstag ist, sind alle Bars und Cafés bis auf die letzten Plätze gefüllt, die Damen sind herausgeputzt und können mit ihren Stöckelschuhen kaum gehen. Eine Band mit einheimischer Live-Musik heizt die Stimmung an und so gehen auch wir für einmal nicht mit Hase und Fuchs ins Bett.
Resen – Galičica Nationalpark / Tagesmotto: Reif für die Insel
Bis Ohrid fehlen uns noch rund 40 km, doch diese führen mehrheitlich einer Strasse entlang. Da ist das Motto schnell gefunden: keine Lust! So überlegen wir uns eine Alternative, den Anspruch, jeden Weg zu Fuss zu gehen, egal zu welchen Bedingungen, haben wir bei der diesjährigen Tour nicht im Gepäck.
Wir entscheiden uns für eine Route nach Ohrid durch den Galičica Nationalpark, eine Bergkette schön eingebettet zwischen Prespa- und Ohrid-See. Zum Ausgangspunkt auf einem Passübergang lassen wir uns per Taxi chauffieren.
Aber wir lassen uns Zeit mit dem Aufbruch aus Resen, trinken Kaffee und noch etwas Kleines essen möchten wir auch, bevor wir dann wieder für 24 Stunden in unseren Fressbeuteln nach Delikatessen suchen.
Im Restaurant kommen wir ins Gespräch mit dem älteren Herrn am Nebentisch. Auch er sei ein bisschen Tourist hier, erzählt er lachend, denn vor 55 Jahren sei er nach Dänemark ausgewandert und verbringe nun jeweils 1 – 2 Sommermonate in seiner alten Heimat. Kurzerhand übernimmt er unsere ganze Rechnung fürs Frühstück. Einmal mehr sind wir sprachlos.
So wird es nach dem Mittag, bis wir uns an die Hügelkette wagen. Bereits nach einer Stunde stehen wir auf dem ersten Gipfel, gefühlte zehn weitere folgen.
Mit wunderschönem Ausblick auf die beiden Seen gehts rauf und runter.
Wir singen aus voller Kehle ‚mal ufe mal abe mal rechts mal links usw.‘ Doch das Singen vergeht uns abrupt, denn wie auch schon gestern folgt uns bald ein Schwarm von Rossbremsen mit ohrenbetäubendem Gesurr und Stechambitionen. Wir verwandeln uns zu komplett entnervten und latent aggressiven Massenmördern.
Dann ist auch wieder der Weg nicht auffindbar, jetzt reichts dann aber! Naja, nur die GPS-Daten sind falsch eingetragen und der Abzweiger, welchen wir eine halbe Stunde vergebens suchen und uns dann bereits auf eine andere Route einstellen, erscheint fast wie eine Fatamorgana im wunderschönen, alten Buchenwald.
Die Rossbremsen finden unser Zelt eine Delikatesse, es verbreitet immer noch einen leichten Güllenduft. Erinnerung an eine 2-Tagestour anfangs Juni 2021 auf dem Toggenburger Höhenweg. Das Aufstellen gleicht einem Karate-Fight.
Jetzt ziehen auch noch Gewitterwolken auf!
Und ein Rudel Ameisen möchte sich in unseren zum Auslüften bereitgelegten Schuhen vergnügen.
Tatsächlich feiert dann Petrus beim Eindunkeln mächtig Party und dreht seine Dezibel voll auf. Kaum verzieht sich das Gewitter, hält uns ein heiseres Geräusch im 2-Sekundentakt wach, wohl ein Baumschläfer, der nicht schlafen will. Doch die unzähligen Glühwürmchen lassen unser Herz vor Freude hüpfen. Lightshow ohne Energie!
Es ist wohl Zeit für Ferien, auch Weitwanderer haben nämlich Anspruch auf Urlaub!
Galičica Nationalpark – Ohrid / Tagesmotto: Tropf um Tropf
Der Morgen ist frisch gewaschen, der Himmel blau und wir schon früh unterwegs. Kunstwerke am Wegrand erhalten unsere ehrliche Bewunderung.
Dieser ausgetrocknete See ist ein ideales Gelände, um Tierspuren zu erkennen.
Es ist schön zu sehen, dass wenigstens in Nationalparks nur wenig Abfall herum liegt. Ein paar Pet-Flaschen und Dosen am Wegrand sammeln wir zusammen und tragen sie nach Ohrid. Ein Tropfen auf den heissen Stein. Aber diese Abfallberge animieren uns einmal mehr, unser eigenes Konsumverhalten zu reflektieren und wir nehmen uns ganz fest vor, beim Einkaufen in Zukunft noch mehr lokale, unverpackte und vor allem saisonale Produkte zu wählen. Nochmals ein Tropfen auf den heissen Stein, aber sehr viele Tropfen können zu Hochwasser führen!
Bereits am Mittag erreichen wir Ohrid. Die Kleinstadt mit 39‘000 Einwohnern liegt wunderschön am gleichnamigen, fischreichen See. Mit ihrer bewegten, tausende Jahre alten Geschichte hat sie zudem diverse sehenswerte Bauwerke wie Klöster, Kirchen und eine Burg zu bieten. In der Altstadt nehmen wir uns für vier Tage ein Apartmani und waschen zuerst einmal unsere gesamte Wanderausrüstung.
Wir sind nun ziemlich genau seit einem Monat zu Fuss unterwegs und tragen bereits einen grossen ‚Chratten’ an unvergesslichen Erlebnissen mit uns. Vor einem Jahr haben wir auch exakt am 10. Juli unseren ersten Ferienblock eingelegt: im Südtirol in Tscherms haben wir vier tolle Tage mit Freunden verbracht. Schön wars!
1 Kommentar
Tatjana · Juli 11, 2021 um 11:27
Hallo ihr zwei, es ist mal wieder herrlich von euch in andere Gefilde davon getragen zu werden. Macht Lust selbst alles hinter sich zu lassen und neue Abenteuer zu suchen. Weiterhin viel Spass und gut Fuss. LG Tatjana