Mavrovo – Trnica / Tagesmotto: Loslösen
Es ist bereits Nachmittag, als wir uns von Fabienne und Claudio verabschiedet wieder auf unseren Weg machen. Die nächsten Kilometer folgen der Strasse und grausen uns etwas. Überhaupt fehlt es etwas an Motivation, so spät nochmals voll durchzustarten. Denn das werden wir die nächsten Tage wohl müssen.
In Trnica lockt uns das einladende Gasthaus zum Einkehren und da wir voraussichtlich zum letzten Mal in der Mazedonischen Zivilisation sind, können wir einfach nicht so abrupt weiter ziehen. Wir beziehen einen Bungalow und geniessen nochmals Dusche, Essen, Getränke und Internet. Nun ist jeder allerletzte Denar gut investiert und Morgen, ja Morgen gilt dann wieder der Ernst des Weitwandererlebens.
Trnica – Korab / Tagesmotto: Höhenflüge
Wenn wir schaffen, was wir hoffen, so wird es heute eine lange Tour. Um 6 Uhr sind wir bereits unterwegs, zuerst nochmals etwa 5 km der Strasse entlang und dann langgezogen durch ein Tal, in mehrheitlich sanfter Steigung. Zwei vollbemenschte Autos überholen uns, halten an und fragen nach unseren Plänen. Ihrem Outfit an suchen sie auch nach Höhenflügen in den Bergen. Als wir ihnen unser Ziel nennen, den Korab, schütteln sie den Kopf und meinen, das sei zu weit und auch zu streng. Erst als wir das Argument Zelt ins Spiel werfen, fahren sie beruhigt weiter.
Der Korab ist mit 2764 MüM der höchste Gipfel im Balkan und steht auf der Grenze zwischen Albanien und Mazedonien. Für uns gibts eine tolle Überschreitung und zugleich Zusatzschlaufe. Ab Ohrid sind wir nun auf der Extension zur Via Dinarica unterwegs, den Korab haben wir als Supplement eingebaut.
Es geht höher und höher, die Landschaft wechselt von sanften Almen, über üppige Wälder zu alpinem Gelände. Wasser fliesst an allen Ecken, die Nachmittagspause bei Katzenwäsche verschafft uns neue Energie, denn es fehlen immer noch beinahe 1000 HM bis zum Gipfel.
Einmal mehr staunen wir über den gut markierten und vor allem auch vorhandenen Weg, denn dieser Aufstieg ist auf den gängigen Wander-Apps nicht hinterlegt. Die GPS-Daten haben wir aus einem Blog von einem Deutschen Paar und schätzen sehr, dass sich andere Wanderer auch die Mühe geben, ihre Erfahrungen zu teilen. Aber weshalb ist dieser Weg so gut? Wanderer können das nicht sein. Aha, immer wieder liegen Kotspuren von Maultieren herum, unsere Fantasie beginnt zu blühen und wilde Schmugglergeschichten so kurz vor der Albanischen Grenze werden immer lebhafter.
Unser Tempo lässt mit jeder Stunde nach, einerseits weil die Beine nicht mehr so spritzig sind aber auch die zunehmend anspruchsvolleren Bergwege helfen mit. Die einladenden Biwak-Plätze versuchen uns zum Bleiben zu verführen, aber wir bleiben hart und steigen weiter hoch.
Während rund einer halben Stunde wandern wir in Albanien, unser letztjähriger Schlusspunkt. Tolle Erinnerungen sind sofort wieder präsent. Fühlt sich einfach gut an, in dieser Region zu Fuss unterwegs zu sein.
Das findet auch Ben, wir treffen ihn auf dem Gipfel kurz vor 17 Uhr. Er reist für zwei Monate im Balkan, Rumänien und Bulgarien umher und erstellt Fotoreportagen für Illustrierte. Auch er ist total begeistert von den noch so wilden und ursprünglichen Ländern mit nur wenig Tourismus.
Die Pause auf dem Peak fällt dann recht kurz aus, schnell ein paar Nüsse nachschieben und dann auf das nächste Bödeli absteigen. Zum Glück fliesst überall Wasser, zum Teil noch aus der Schneeschmelze.
Ein toller aber auch strenger Tag geht zu Ende, erstmals haben wir die 2000 HM-Marke geknackt und waren 12 Stunden unterwegs. Einen Moment überlegen wir, ob wir Cowboy-Camping ausprobieren sollen, also ohne Zelt schlafen. Aber wir raffen uns dann doch nochmals auf und bauen unser Zuhause auf. Sobald die Sonne hinter den Bergen abtaucht wird es frisch, kein Wunder, wir sind immer noch auf 2500 MüM, also auf Säntishöhe, und setzen unseren Höhenflug in den Träumen noch etwas fort.
Korab – Austrian Head / Tagesmotto: Schlimmer geht immer
In toller Morgenstimmung steigen wir in Richtung Strezimir ab, von dort wird der Korab als Tagesgipfel regelmässig begangen.
Um 9 Uhr sind wir bereits unten, der Polizeiposten sieht verlassen aus. Auch gut. Wir befinden uns im Dreiländereck von Mazedonien/Kosovo/Albanien, deshalb finden hier punktuell Kontrollen statt. Wir folgen weiterhin den GPS-Daten von wandern-flanieren.de wunderschön einem Bach entlang bis wir im Gestrüpp in einer Sackgasse landen. Weiter durchs gut gefüllte Bachbett, dann den Hügel hoch durch üppiges Gelände. Ideal für alles was kriecht und flieht, aber zuerst ein Foto bitte!
Den Abstieg können wir dann auf dem versprochenen Kiessträsschen gehen und die wehende Kosovo-Fahne winkt uns einladend zu. Aber unsere Route führt noch etwas weiter durch Nordmazedonien, wir sind unterwegs zurück zur Mazedonischen Transversale.
Beim Brunnen im Tal machen wir ausgiebigen Mittagshalt und kochen Penne. Wir rechnen weiter oben nicht mehr mit Wasser für heute. Es dauert nicht lange, da fährt ein Polizeiauto vor und hält. Logisch. Einer der beiden spricht ein wenig Englisch und natürlich möchten sie wissen, von wo wir sind und was wir hier so vorhaben. Sie scheinen zufrieden mit unseren Antworten, holen ihr frisches Gemüse zum Waschen und Pet-Flaschen zum Abfüllen. Als Sonja ihr Sackmesser hervor nimmt um Käse zu schneiden meint der Polizist: ja, jetzt glaube ich euch, dass ihr Schweizer seid und lacht herzhaft. Das sei gleichwertig wie eine ID. Mit einem Handshake verabschieden sie sich.
Es fehlen uns noch 10 km bis wir zurück auf der Mazedonischen Transversale sind, bei guten Wegverhältnissen können wir das schaffen. Also los!
Doch bald schon führt der GPS-Track durch arges Gestrüpp ziemlich direkt den Hang hoch. So haben wir uns das nicht vorgestellt und die Beine kriegen einige Kratzer ab. Nach etwa einer Stunde lichtet sich das Gestrüpp dann endlich und nochmals eine Stunde später sind wir zurück auf einem markierten Wanderweg. Am meisten ärgert uns, dass wir ganz bequem dem Fahrsträsschen hätten folgen können um hierher zu gelangen. Schlimmer geht heute nimmer.
Doch schöpfen wir neuen Mut mit dem Wanderweg unter den Füssen und steigen weiter hoch bis wir erstmals an der Kosovarischen Grenze stehen auf 2250 MüM, ganz ohne Polizeiposten. Das ist der perfekte Platz zum Übernachten. Ganz zurück auf unserer Route sind wir noch nicht, aber es fehlt nicht mehr viel. Morgen wird sicher alles besser!
Austrian Head – Kleč / Tagesmotto: Schnuppertag
Die Sonne und die Lerche Thomas sind Frühaufsteher, die Eule Sonja trottet am frühen Morgen einfach hintendrein. Aber es macht absolut Sinn, früh zu starten, denn die frischen Temperaturen haben sich zeitgleich mit unserem Besuch wieder verabschiedet. Bereits um 7 Uhr müssen wir unsere Tenues erleichtern.
Synchron mit den ersten Sonnenstrahlen sind wir zurück auf der Mazedonischen Traversale und werden nun dieser in den nächsten Tagen folgen, auf Wegen konstant über 2000 MüM. Bald schon überqueren wir ein erstes Mal die Grenze zu Kosovo und können ein bisschen in unser nächstes Reiseland schnuppern. Das werden wir heute und auch die nächsten Tage noch öfters, denn die Route führt nun der Grenze entlang zwischen Mazedonien und Kosovo.
Aus anderen Blogs haben wir erfahren, dass teilweise der Wassernachschub schwierig ist. So füllen wir am letzten eingezeichneten See nochmals unsere Behälter auf und kochen einen Nudelsnack.
Gerade als wir erholt, gewaschen und mit frischen Kleidern aufbrechen möchten, trottet ein gepflegter Hund daher und nimmt ein Bad im See, ohne uns zu beschnuppern. Wir wundern uns, aber nicht lange. Tatsächlich unternimmt eine einheimische Wandergruppe einen Tagesausflug zum See, sie machen Selfies mit uns und sind begeistert, hier oben Schweizer Wanderer zu treffen. Der Präsident des lokalen Bergclubs ist auch dabei, doch anscheinend finden sie kaum Mitglieder. Schade!
Wir kommen gut voran, die Wege sind wieder ringläufig und mehrheitlich vorhanden. Doch ganz ohne GPS gehts auch heute nicht. Aber wir sind wieder versöhnt und der gestrige Knorz hinterlässt bereits ein Erinnerungslächeln auf unseren Gesichtern.
Stundenlang wandern wir durch eine einmalige Kulisse, mehrheitlich über endlose Hochebenen mit Hügelzügen, aber auch schroffere Gebirgszüge lassen unsere Herzen höher schlagen. Unzählige Gipfelziele locken an allen Ecken und Enden. Aber unser Essensbeutel verliert noch schneller Gewicht als wir und so beschränken wir uns auf die Gipfel am Weg.
Auf dem Gipfel des Kleč schlagen wir mit müden Beinen das Zelt auf und wir schauen der Sonne zu, wie sie sich langsam am dunstigen Himmel hinter den Bergen verkriecht. Die Nächte auf dieser Höhe haben einen speziellen Reiz, die tolle Rundumsicht verbunden mit der Ruhe hinterlässt uns immer wieder ehrfürchtig.
Kleč – am Fusse des Konjushka Peak / Tagesmotto: Grenzschlängeln
Etwas haben wir doch zu Hause vergessen, den Traumfänger! Das erste Erwachen auf kosovarischem Boden hinterlässt Sonja etwas ratlos: im Traum hat Thomas ihr erklärt, dass er ab sofort sein Leben mit einem Mann verbringen möchte. Als dann aber Sonja im echten Leben wieder schön brav hinterher zottelt, ist alles vergessen.
Der Vormittag ist schnell erzählt: zwei Gipfel, zwei Seen und viel Sonnenschein stehen auf dem Programm. Immer schön der Grenze entlang.
Zum Glück weht oft eine sanfte Brise, so ist die Hitze gut erträglich. Es ist lange her, seit wir das letzte Mal durch einen Wald marschiert sind, seit drei Tagen sind wir non-stop der Sonne ausgesetzt.
Der Nachmittag gehört dann den Gebirgskesseln, teilweise ohne Weg, was sehr ermüdend ist für die Füsse. Je nördlicher wir gelangen, umso knapper wird das Wasser, einige Quellen sind bereits jetzt, im Juli, versiegt. So ist Thomas wieder einmal Wasserträger und buckelt bis zu sechs Liter über die Gebirgszüge.
Wir passieren mehrere Schafherden sehr nah, doch heute bellt nicht einmal ein einziger Herdenhund. Steht heute das ‚Schweigen der Herdenhunde‘ auf dem Programm?
Einem Wanderer begegnen wir auch! Ein in Dänemark aufgewachsener, junger Mazedonier geniesst hier die wilde Natur in den Bergen. Er erzählt aber auch sehr viele kritische und nachdenklich stimmende Missstände aus seinem Heimatland Mazedonien.
Beim Konjushka Peak könnten wir nach Prevallë absteigen, doch wir möchten Morgen noch den Ljuboten besteigen und somit die Mazedonische Traversale zu Ende gehen, Die letzten vier Tage sind wir 110 km weit gekommen, das ist mehr als wir gerechnet haben. So reichen unsere Vorräte noch für eine Zusatzschlaufe, bevor wir dann erstmals in die Zivilisation im Kosovo absteigen werden.
Eine weitere Nacht im Zelt auf 2500 MüM liegt vor uns, bereits um 19.30 Uhr geht die Sonne unter und dann wird es rasch frisch. Wir kuscheln uns früh in unsere Schlafsäcke mit einer grossen Packung M&M‘s, den passenden Film können wir uns selber dazu fantasieren. Wohl eher nicht das ‚Schweigen der Lämmer‘.
Am Fusse des Konjushka Peak – Liqeni i Livadicës / Tagesmotto: Es gibt immer Alternativen
Auch heute sind wir wieder vor halb 7 startklar. Der letzte Abschnitt der Mazedonischen Traversale führt uns über einen imposanten Gratweg mit unzähligen Gipfelmöglichkeiten, welche wir auch mehrheitlich nutzen.
Eine Routenbeschreibung prophezeit ausgesetzte Stellen. Brauchen wir wohl eine alternative Abstiegsroute?
Nach rund einer Stunde stehen wir bereits auf dem höchsten Gipfel des Tages, dem Peskovi, eine weitere Stunde später auf dem Guri Zi.
Wo bleiben nun die ausgesetzten Stellen? Viele tolle Bergwege führen über den Grat aber alle sind im grünen Bereich, mal über sanfte Wiesen, dann wieder steinig. Also gehts weiter über und um Dutzende Gipfel.
Auf dem Piribeg bestaunen wir den Sessellift des kosovarischen Skigebietes.
Bald endet für uns die Mazedonische Traversale, doch erst wird uns ein alternatives Unterhaltungsprogramm geboten. Beim Versuch, eine Schafherde in ca. 100 M zu umgehen, bekommen wir es das erste Mal so richtig mit der Angst zu tun. Wir werden von sieben Herdenschutzhunden umzingelt und mit wildem Gebell und Zähnefletschen bedroht. Ruhig stehen bleiben hillft dieses Mal leider nicht. Erst nach ca. 10 Minuten befreit uns der Schäfer von den Tieren, alles Zurufen hat nichts genützt. Uff, Alternative Spital nicht notwendig.
Der Ljuboten bildet den Schlussgipfel der Traversale. Gibt es keinen alternativen Aufstieg? Der Weg über einen Geröllgrat verspricht kein besonderes Vergnügen zu werden. Aber wo wir schon da sind, auffi, auffi gehts. Der Gipfelempfang auf Schwiizerdütsch überrascht uns dann doch sehr. Vier in der Schweiz wohnhafte Kosovo-Albaner geniessen ihr Gipfelglück. Sie sind allerdings über eine alternative Route aufgestiegen.
Nach dem Ljuboten führt uns der Weg nochmals zwei Stunden zurück auf bereits bekannten Wegen und bildet auch den definitiven Übergang nach Kosovo. Nach beinahe zwölf Stunden auf den Beinen freuen wir uns auf unseren Bade-, Schlaf- und Kochplatz beim Bergsee Liqeni i Livadicës.
Für uns ist die Mazedonische Traversale ein absolutes Highlight und ein wahrer Geheimtipp. Mit sechs Tagen und fünf Zeltnächten ist dies der bisher längste Abschnitt ohne Einkehr- und Einkaufsmöglichkeiten. Die Wettergötter meinten es gut mit uns, Sonnenschein pur tagsüber und nachts kaum Wind beschenkten uns traumhafte Nächte auf über 2200 MüM.
Mit Nordmazedonien haben wir ein weiteres Land auf dem Balkan als sehr positiv erlebt: grosszügige und hilfsbereite Menschen, wilde Natur, einsame Berge, unendlich viel Platz, grosse Lebensfreude trotz schwieriger politischer Lage, leckeres Essen, fabelhafter Wein und Rakija, nicht alles braucht ein Gesetz und wenns eines gibt, muss es nicht zwingend eingehalten werden, und und und. Besucht diese Länder, solange sie noch unentdeckt sind, da steckt sehr viel Potenzial drin!
4 Kommentare
Anja · August 1, 2021 um 15:58
Liebe Sonja,
als ich am 7. Juni Deine Mama (meine Gotte) besuchte, erzählte sie mir, dass Du aktuell auf Korfu seiest und mit Thomas von Igoumenitsa aus eine grosse Reise zu Fuss unternehmen werdest. Dabei erwähnte sie auch Deinen Blog. Wandern ist so gar nicht meine Welt, aber da ich als Teenager in Igoumenitsa war, las ich Mitte Juni mal Deinen Blog. Und da ich auch Ioannina, Kalambaka und Kastoria kenne, las ich den Blog immer weiter und weiter, bis ich so richtig „angefixt“ war. Mittlerweile bis Du und Thomas längst an Orten, die ich nicht mal vom Namen her kenne, aber ich lese Deine Beiträge weiterhin mit viel Freude und grossem Interesse. Damit ich mich nicht länger als „Voyeurin“ fühle, wollte ich Dir dies unbedingt mitteilen und Dir bei dieser Gelegenheit auch danken für die lebendigen Berichte und die schönen Fotos.
Herzlich und mit den besten Wünschen für das Weiterwandern
Anja
Pia · Juli 31, 2021 um 08:41
Die wunderbare Schreibweise versetzt mich manchmal bis zu euch. Frohes Weiterkommen mit wertvollen Begegnungen und immer genügend Proviant!
Pia · Juli 31, 2021 um 08:38
Die wunderbare Schreibweise versetzt mich manchmal bis zu euch. Weiterhin schöne Erlebnisse und Begegnungen. Frohes Weiterkommen – mit immer genügend Proviant!
Reini · Juli 30, 2021 um 22:38
Wirklich grosse Tour über die Mazedonische Transversale. Und dass Ihr so Wetterglück hattet, mag ich Euch sehr gönnen. Fast eine Woche auf Säntishöhe, bei schlechtem Wetter wäre der Genuss kleiner gewesen.
In Tetovo und in Prizren war ich mit Yvonne.
Könnt Ihr die kyrillische Schrift schon entziffern?
Tier sind selten zu beobachten… Fuchs, Rehe, Vögel, Gämsen, Adler (Shiponja), etc?
Gute Weit(er)wandern wünscht Euch
Reini
Reini