Prizren – Liqeni i Gjeravicës / Tagesmotto: Coole Köpfe
Das Timing ist perfekt, kaum sitzen wir im Bus nach Gjakovë, fährt er auch schon los. Eine kurzweilige Taxifahrt mit Skender bringt uns weiter bis zum Kriegsdenkmal oberhalb Koshare auf 1050 MüM. Die Luft hier oben ist schon wieder deutlich erfrischender. Wir staunen nicht schlecht, sogar eine Via Dinarica-Tafel steht am Ausgangspunkt, das finden wir echt cool!
Viele ausgewaschene Kiesstrassen führen nun in die Höhe und mehrere Autos sind auf ihnen holpernd unterwegs. Was da oben wohl los ist? Auch weitere kleine Gedenkstätten treffen wir immer wieder an.
UÇK und Kosovokonflikt
Angesichts wachsender Repressionen gegen albanisch-kosovarische Bewohner der jugoslawischen Republik Serbien in den 1980er-Jahren, bildeten sich Parallelstrukturen inklusive einer Schattenregierung in Ljubljana. Diese kam mit der Untergrundorganisation „Volksbewegung für eine Republik Kosovo“ darin überein, Guerillakämpfer auszubilden. 1993 wurde die Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) in der Schweiz gegründet. Ausgebildet wurden die Kämpfer vom albanischen Militär. Für Kämpfer, Waffenlieferungen und anderes kriegswichtiges Material waren die sonst geschlossenen Grenzen Albaniens durchlässig. Die Kämpfe zwischen der jugoslawischen Volksarmee und der UÇK im gesamten Land lösten ab Sommer 1998 internationale Friedensbemühungen aus, die in militärische Interventionen der NATO von März bis Juni 1999 mündeten. (Quelle: Rother Führer Peaks of the Balkans)
Auf dem ersten Plateau sind die Heidelbeer-Liebhaber im Sammelfieber, bei uns überleben die süssen Beeren jeweils nicht lange und landen sofort im Mund.
Noch etwas höher löst sich das Strassen-Rätsel, mehrere bewirtschaftete Alpen liegen hier oben. Die Schäfer sind wohl sehr modebewusst oder hilft die Haarpracht den Schafen, um einen kühlen Kopf zu bewahren?
Der Gipfel des Gjeravica ist bald schon in Sichtweite, doch den sparen wir uns für Morgen. Beim gleichnamigen See etwas unterhalb des Passübergangs schlagen wir unser Hubba Hubba windgeschützt zwischen den Felsen auf. Nicht nur unsere Köpfe kühlen hier oben auf 2300 MüM mit den böigen Windstössen rasch ab, auch die Finger sind bald so steif wie Teatime im Buckingham‘s Palace. Drum gibts früh eine hoffentlich ruhige Nacht.
Liqeni i Gjeravicës – Roshkodol / Tagesmotto: Vertrauen schenkt Wunder
Die Windböen haben uns über Nacht mehrmals aus dem Schlaf gepfiffen und auch tagsüber weht immer mal wieder ein giftiges Lüftlein.
Noch bevor wir richtig wach sind, stehen wir bereits auf dem luftigen Gjeravica und erhalten einen ersten Einblick auf die Kulisse der Peaks of the Balkans. Die Berge sind wieder schroffer und felsiger und wenig Schnee liegt zum Teil immer noch.
Für den Abstieg nach Doberdöl in Albanien rechnen wir vier Stunden, doch deutlich früher, nämlich bereits um halb elf sitzen wir im Guesthouse und lassen Zuckerwasser in uns hinein fliessen. Und nun steigen wir in die vierte Etappe der Rundtour ‚Peaks of the Balkans‘ ein.
Peaks of the Balkans (PoB)
Der Dreiländerrundweg durch Albanien, Kosovo und Montenegro erstreckt sich über 185 km und 11‘500 HM – in einer Region, in der noch vor ein paar Jahren nur Hirten umherzogen und Grenzsoldaten patrouillierten. Das Ziel des Projektes besteht darin, die wirtschaftliche Entwicklung und das Wachstum in Grenzregionen durch naturverträglichen Tourismus anzukurbeln, zur Versöhnung der Bevölkerungsgruppen beizutragen und gemeinsame, nachhaltige Interessen am ökologischen Wert der Region zu schaffen. Auf alten Handels- und Hirtenpfaden wandert man zwischen den Gipfeln des Prolektje-Gebirges, wobei auch immer wieder Gipfelziele eingebaut werden können.
Der kurze Abstecher nach Albanien dauert nicht lange, bereits nach dem steilen Aufstieg auf die Krete stehen wir in Montenegro. Innerhalb weniger Stunden haben wir mit unseren Füssen den Boden von drei Ländern geküsst.
Immer wieder kommen wir an Schafherden und weidenden Kühen vorbei, die zahlreichen Alpen sind gut belebt und es wird gebaut was das Zeug hält. Auch eine Wandergruppe können wir in der Ferne erblicken.
In Roshkodol hoffen wir auf ein Guesthouse, vor allem auch, damit wir etwas leckeres Essen können. Doch anscheinend gibts das erst im nächsten Dorf. Am Strassenrand sitzt ein rund 40ig-Jähriger und winkt uns zu sich. Es dauert nicht lange, da sitzen wir bei Bekim und Betim im Garten ihres Maiensässes in den Bergen und trinken Bier. Bekim arbeitet in Deutschland, das erleichtert die Kommunikation erheblich.
Es bleibt nicht bei Bier, bald läuft der Grill und immer mehr Teller mit Köstlichkeiten werden aufgetischt. Beim Eindunkeln fahren unsere spontanen Gastgeber nach Hause zur Familie, aber wir dürfen uns in der noch recht neu erstellten Hütte zum Schlafen einrichten. Bedingungsloses Vertrauen… wir werden den Kosovaren in der Schweiz in Zukunft sehr anders begegnen.
Roshkodol – Lagja e Kaprojve / Tagesmotto: don‘t hurry, be happy
Wir schlafen aus, bis sechs Uhr… denn ohne Zelt verräumen sind wir eine halbe Stunde schneller schuhfertig! Ja, so sieht das Leben eines Weitwanderers aus, gemütlich und chillig ist anders!
Wir freuen uns schon, dass der Wind nachgelassen hat. Aber sobald wir etwas höher steigen, geht es wieder los mit den heftigen Böen. Ungemütlich ist nur der Vorname. Ab Milishevc führt der Pfad wieder einmal ziemlich direkt über eine Kuhweide hoch und höher. Oben auf dem Plateau dann durch Latschenkiefern, eigentlich sehr idyllisch, aber die Böen werfen uns wie Kegel aus der Bahn und so richtig Geniessen wird auf unbestimmte Zeit verschoben.
Beim langen Abstieg ins Rugova-Tal müssen wir dann doch leer schlucken. Die beiden Jungs gestern haben uns erzählt, dass Waldbrände in dieser Region wüten. Doch die Flammen dann so nah zu sehen, ist dann schon heftig. In langen Abständen fliegen Löschhelikopter, aber der starke Wind entfacht das Feuer immer wieder von Neuem. Einen kurzen Moment freuen wir uns über ein paar Regentropfen, aber das ist falscher Alarm, nur eine homöopathische Dosis Wasser fällt aus den Wolken. Später erfahren wir, dass die Ursache der häufigen Waldbrände meistens durch Menschen verschuldet ist, zum Beispiel beim illegalen Verbrennen von Abfall.
Im Rugova-Camp legen wir wieder einmal eine lange Mittagssiesta ein, denn die Sonne brennt erbarmungslos hier auf 900 MüM.
Doch wir nehmen nochmals einen Anlauf, möchten immerhin im nächsten Taleinschnitt wieder etwas hoch steigen. Der Föhnsturm wütet immer noch, so zielen wir eine Unterkunft an. Doch leider sind alle Betten besetzt.
Auf dem Weiterweg kommen wir ins Gespräch mit in Schweden lebenden Einheimischen und ja, wir beginnen mit jedem Tag im Kosovo besser zu verstehen, dass Gäste zu haben, Glück im Hause bedeutet. Das Ferienhaus in den Bergen ist kaum fertiggestellt doch stolz zeigt uns Mersim unser Schlafzimmer. Frisch geduscht auf dem Sitzplatz mit Blick in die Berge könnten wir auch in der Schweiz sein. Nur dass wir dort nicht von Fremden einfach zum Übernachten eingeladen würden.
Die Familie fährt dann noch in die Stadt Pejë zum ‚Party machen‘, doch wir ziehen es vor, im nahe gelegenen Restaurant einheimische Spezialitäten zu versuchen und das heutige zu Hause zu geniessen. Don‘t hurry, be happy!
Lagja e Kaprojve – Drelaj / Tagesmotto: Homeless aber nicht freundlos
Beim Morgenkaffee mit Mersim werden wir mit einer schönen Geschichte beschenkt: Ein albanischer Vater verabschiedet seinen Sohn auf seine erste Reise mit den Worten: Geh mein Sohn und baue an allen schönen Orten Häuser. Der Sohn antwortet erstaunt: wie soll ich das bezahlen? Darauf meint der Vater: du musst die Häuser nicht selber bauen, wenn du Freunde hast, wirst du immer auch ein Zuhause haben. Das erfahren wir gerade sehr gut und möchten diesen Gedanken mit in unser späteres Zuhause nehmen. Offene Türen für Freunde! Denn zu wem passt die Geschichte besser als zu uns, auch wir haben nach unserer letztjährigen Wanderung ein Zuhause erhalten dank Freundschaft.
Ein weiteres Phänomen beobachten wir: unsere Essensvorräte verlieren nicht mit jedem Wandertag an Gewicht, sondern das Gegenteil ist der Fall. Vorgestern haben uns Bekim und Betim zwei Pfünderli mit auf den Weg gegeben und gestern haben wir den Rest des Maiskuchens eingepackt. Heute gibts definitiv Resten unterwegs!
Wir kommen spät los, zuerst gehts der Strasse entlang aufwärts bis Rekë e Allegës, dann durch einen Tannenwald hoch auf den Passübergang. Nun müssen wir uns entscheiden, ob wir einen zweiten Gipfel einbauen sollen. Sicher doch, die Sicht ist heute recht klar, der böige Wind hat sich wohl selber davongeblasen und wir fühlen uns gut erholt und auch beinahe etwas überernährt. Also los in Richtung Hajla, das steile Wiesenbord empor in direkter Linie während 400 HM. Doch der Abstecher über den Haijla lohnt sich definitiv, die Rundsicht ist genial und der Schlussaufstieg über das milde Grätchen ist eine Wanderbereicherung. Auf unserem nördlichsten Punkt in Kosovo stossen wir mit einem Rakija auf dieses tolle Land an, denn schon bald müssen wir wieder Abschied nehmen.
Wir sind wohl schon wieder etwas näher bei der Schweiz, der Gipfel ist überfüllt mit Edelweissen.
Die heutige Etappe ist gemäss Führer die belebteste auf dem PoB, nach dem Gipfelabstieg treffen wir immer wieder auf bewohntes Alpgebiet und kleinere Bergdörfer mit vielen neuen Ferienhäusern. Wir hoffen ganz fest, dass trotz diesem Bauboom der Charme der Region erhalten bleibt. Neue Übernachtungsmöglichkeiten wachsen wie Würmer bei Regenfall aus dem Boden.
In dieser Region werden vorwiegend Mutterkühe gehalten. Gut für uns, die Herden können sich auch ohne Schutzhunde gegen Wölfe wehren.
Der langezogene Abstieg führt uns nach Drelaj. Es ist zwar erst 15 Uhr, aber wir können dem Guesthouse Shqiponja nicht widerstehen und so wird es für uns die erste Übernachtung in einem der typischen Gasthäuser auf dem Rundweg. Es handelt sich meist um einfache Unterkünfte mit Mehrbettzimmern und einem grossen Esstisch für alle Gäste. Im Preis von ca. 25 EUR pro Person ist das Nachtessen, Frühstück sowie ein Lunchpaket enthalten. Für die Einheimischen eine gute Gelegenheit, ihre eigenen Hofprodukte zu vermarkten und für uns ‚Touristen‘ in Kontakt mit Gleichgesinnten zu kommen.
Zwei Coronaflüchtlinge aus Israel übernachten auch im Shqiponja. Im durchgeimpften Israel steigen die Zahlen wieder und eine 3. Impfung für die komplette Bevölkerung ist angekündet. Das junge Paar hat die Destination Kosovo gewählt, da die Israeli nur aus wenigen Ländern bei der Heimkehr nicht in Quarantäne müssen. Trotz Impfung und obligatorischem PCR-Test bei der Rückreise. Kosovo gehört zu den wenigen Ländern ohne Quarantänepflicht. Macht Sinn, denn hier sind alle Massnahmen schon länger aufgehoben, und ohne Massentests gibts auch keine hohen Zahlen. Kluger Schachzug der Regierung. Wer also nicht nur Urlaub von der Arbeit sucht sondern auch von Corona, dem können wir Kosovo wärmstens empfehlen. Das normale Leben ist hier zurück. Was lernen wir daraus? Geht in die Natur, umarmt euch, bewegt euch, lebt so als gäbe es kein Morgen. Denn ein gefülltes Herz und ein starkes Immunsystem sind die beste Prävention für alle Krankheiten! Jetzt ist wieder fertig mit Gedanken aus Absurdistan und unser Blog wird erneut coronafreie Zone!
Drelaj – Babino Polje / Tagesmotto: Mirupafshim!
Bis Guri i Kuq sind wir noch in bewohntem Gebiet unterwegs und mehrmals der Hauptstrasse entlang. Doch danach wird es richtig schön und erinnert stark ans Wandern in der Schweiz. An zwei Seen vorbei gehts auf den Grenzkamm zwischen Kosovo und Montenegro, wobei die beiden Regierungen immer noch um den genauen Verlauf streiten. So sehen wir auch nirgends einen Grenzstein.
Längere Zeit können wir dem Grenzkamm folgen und die wunderbare Aussicht geniessen, unter anderem auch das bereits durchwanderte Tal direkt unter uns, wo wir vor ziemlich genau 72 Stunden bei Bekim und Betim in Roshkodol eingeladen waren. Die Peaks of the Balkans ist nun mal kein Weitwanderweg sondern eine Rundtour. So gehen auch wir für einmal im Kreis und begegnen mehreren Touristen, die etwa so aussehen wie wir.
Auf dem Pass Zedlo Zavoj heisst es nun definitiv Abschied nehmen von Kosovo, denn die nächsten beiden Tage werden wir in Montenegro unterwegs sein, bevor wir dann nach Albanien gelangen sollten.
Für uns ist Kosovo eine absolute Neuentdeckung, die Grosszügigkeit und Herzlichkeit ist wohl nicht zu übertreffen. So hoffen wir sehr auf ein Wieder-Sehen – oder auf albanisch – mirupafshim!
Der Abstieg nach Babino Polje ist dann nicht mehr weit und kaum sind wir in Montenegro sitzen wir bei Rasia und Skender vor ihrem neu gebauten Sommerhäuschen, werden umsorgt und diskutieren intensiv auf händisch. Mit Gästebetten bessern sie ihre Pension etwas auf, im Städtchen Plav haben sie einen kleinen Selbstversorgerhof mit einer Kuh und somit ist klar, dass Rasia stolz ihre eigenen Produkte auftischt. Sie muss dann allerdings am Abend noch zurück nach Plav, um die einzige Kuh zu melken.
Dafür kommt im Verlauf des Abends der Sohn mit einem in Amerika lebenden Freund vorbei. Ja, wir sind unverwechselbar in Montenegro angekommen, denn nun gibts selbstgebrannten Rakija aus einer 2-Liter-Colaflasche! Wir müssen nach zwei Gläslein auf Wasser umstellen, aber die Jungs mögen gut trinken und viel erzählen! Die Stube von Rasia und Skender ist für heute unser zu Hause – wieder ein neues Haus ist gebaut!
1 Kommentar
Gesundheitspraxis Toggenburg · August 13, 2021 um 10:28
Wo Furzet den ihr all ume🧙♂️😅